Mittwoch, 8. Juli 2015

Der Sprung aus dem Fenster - ein Arbeitsunfall?

Wer tätig ist "baut" manchmal Unfälle. Geschieht dies in Verrichtung einer Arbeit liegt regelmäßig ein Arbeitsunfall vor. Ist von einem Arbeitsunfall auszugehen, wenn ein Mann sich einer Neckerei (Wasserspritzer aus Gummispritztier) mit einem beherzten Sprung aus dem Fenster entzieht und sich dabei verletzt? 

Ein 27-jähriger Mann befand sich im Rahmen einer beruflichen Umschulungsmaßnahme im 1. OG des Unterrichtsgebäudes. Während einer nicht beaufsichtigten Unterrichtszeit versuchte eine Mitschülerin ihn mit einem Gummispritztier nass zu spritzen. Der Mann stand direkt an dem Fenster und versuchte, sich dem Wasserstrahl zu entziehen, indem er über die Fensterbrüstung sprang. Hierdurch gelangte er auf ein vor dem Fenster befindliches Welldach, durch welches er hindurchstürzte. Dabei verletzte er sich an Fuß und Wirbelsäule.

Die Berufsgenossenschaft lehnte eine Anerkennung als Arbeitsunfall ab. Der Mann sei im Rahmen einer Rangelei bzw. Neckerei aus dem Fenster gesprungen. Eine betriebsdienliche Tätigkeit liege nicht vor.

Der verletzte Mann führte hingegen an, dass er sich an der Rangelei nicht beteiligt habe. Beim Ausweichen habe er sich so unglücklich bewegt, dass er aus dem Fenster gefallen sei.

Das LSG Darmstadt (L 3 U 47/13) hat die Entscheidung der Berufsgenossenschaft bestätigt.
Nach Auffassung des Landessozialgerichts liegt ein Arbeitsunfall nur dann vor, wenn die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist. Höchstpersönliche Verrichtungen seien hingegen in der Regel nicht gesetzlich unfallversichert. Hierzu gehörten auch Neckereien und Spielereien, die grundsätzlich als ein den Interessen des Betriebes zuwiderlaufendes Verhalten anzusehen seien. Anders sei dies lediglich bei Schülern und pubertierenden Jugendlichen. Insoweit seien die Gefahren zu berücksichtigen, die sich aus unzureichender Beaufsichtigung oder aus dem typischen Gruppenverhalten innerhalb des organisatorischen Verantwortungsbereichs der Schule ergeben würden. Der zum Unfallzeitpunkt 27-jährige Umschüler sei jedoch nicht anders zu beurteilen als ein 27-jähriger Beschäftigter in einem Großraumbüro. Zudem sei keineswegs von einem Sturz, sondern vielmehr von einem gezielten Sprung aus dem Fenster auszugehen. Dies ergebe sich aus dem Geschehensablauf sowie den Angaben des Verletzten und dessen Mitschülerinnen.

Dienstag, 3. März 2015

Unfall bei Vorstellungsgespräch

Ein Empfänger von Arbeitslosengeld erhielt von Seiten der Agentur für Arbeit im Mai 2012 die Aufforderung, sich umgehend schriftlich oder per E-Mail bei einem Unternehmen als Bauhelfer zu bewerben. Wenige Tage nach dieser Aufforderung fuhr er von seiner Wohnung mit dem Fahrrad zu diesem Unternehmen, um dort ein Vorstellungsgespräch zu führen. Auf dem Rückweg stieß er mit einem PKW zusammen und zog sich schwerste Hirnverletzungen zu.

Er begehrte die Feststellung, dass der Unfall ein Arbeitsunfall ist und deshalb die gesetzliche Unfalversicherung die Leistung zu tragen hat. Der beklagte Unfallversicherungsträger verweigerte dies allerdings und stellte sich auf den Standpunkt, dass ein Unfallversicherungsschutz ausscheide, weil die Agentur für Arbeit den Arbeitslosen nur aufgefordert habe, sich schriftlich zu bewerben, nicht aber ein Vorstellungsgespräch zu führen.

Das SG Konstanz stellte nun in seiner Entscheidung fest, dass es sich bei dem Ereignis um einen Arbeitsunfall gehandelt habe. Als der Kläger bei dem Unfall verletzt wurde, war er nach den Vorschriften des SGB VII versichert. In der gesetzlichen Unfallversicherung sind kraft Gesetzes Personen versichert, die nach den Vorschriften des SGB II und des SGB III der Meldepflicht unterliegen, wenn sie einer besonderen, an sie im Einzelfall gerichteten Aufforderung der Bundesagentur für Arbeit nachkommen, diese oder eine andere Stelle aufzusuchen. Eine solche Aufforderung müsse im Zusammenhang mit den Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit stehen und es müsse sich auch um eine konkrete Willensäußerung handeln, die erkennen lasse, dass die Arbeitsverwaltung ein bestimmtes Verhalten vom Arbeitslosen erwarte. Entsprechend der Rechtsprechung des BSG sei Maßstab der Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten. Hierbei war auch das dem Kläger ausgehändigte Merkblatt für Arbeitslose zu berücksichtigen, in dem darauf hingewiesen wurde, dass eine Sperrzeit eintrete, wenn der Arbeitslose eine von der Agentur für Arbeit angebotene Arbeit ablehnt oder nicht antritt oder sein Verhalten das Zustandekommen eines Beschäftigungsverhältnisses vereitelt.

Vor diesem Hintergrund konnte der Kläger die Aufforderung der Agentur für Arbeit dahingehend verstehen, dass diese Aufforderung nicht nur die Bewerbung, sondern auch das darauf folgende Vorstellungsgespräch umfasste. Dem Inhalt des Aufforderungsschreibens durfte der Kläger also entnehmen, dass die Agentur für Arbeit von ihm erwarte, dass er einer Einladung zu einem Vorstellungsgespräch, die auf die Bewerbung erfolgen könnte, auch Folge leiste.

Freitag, 20. Februar 2015

Das Sächsische Landesssozialgericht ist umgezogen - wird alles besser?

Sachsen ist so ziemlich das Schlußlicht in der Bundesrepublik, was die Verfahrensdauer vor den Sozialgerichten angeht - so meldet es die freiepresse.de.

Mit dem Umzug des Sächsischen Landessozialgerichtes in die

Kauffahrtei 25
09120 Chemnitz

soll es nun besser werden.

Nicht nur, dass schon 2014 Rückgänge in der Anzahl neuer Verfahren zu verzeichnen waren (in der  Berufungsinstanz betrug der Rückgang 14 Prozent), sondern es soll auch ein neuer, der 9. Senat entstehen. Es wird gehofft, dass dann 36 Richter tätig sein können und die Anzahl der unerledigten Fälle (welche in 2014 von 4740 auf 5090 stiegen) dann abgebaut werden können.

Ob sich an der Erfolgsquote für Berufungsführer (derzeit ca. 6 %) etwas ändert, bleibt unklar.

Montag, 19. Januar 2015

Kein Schmerzensgeld für Unfall im Chemieunterricht

Wenn es kracht und knallt und pufft, ist es der Chemie-Unterricht. Das nicht immer allles unfallfrei abläuft ist dabei sehr bedauerlich.

Am 28.09.2012 war es im Chemie-Unterricht einer sechsten Klasse einer Schule zur Entzündung einer Flasche mit Brennspiritus gekommen. Die Klasse hatte unter Aufsicht einer Lehrerin verschiedene Versuche zum Thema "Verbrennung" durchgeführt, bei denen Spiritus in kleinen Versuchsschälchen entzündet wurde. Als die Lehrkraft ein vermeintlich leeres Porzellanschälchen aus einer Spiritus-Flasche nachfüllen wollte, soll sich der Spiritus in der Flasche entzündet haben und soll die Flasche mit einer Stichflamme durch den Raum geflogen sein. Dabei soll ein Schüler Verbrennungen 2. Grades im Gesicht und am Oberkörper erlitten haben.

Dieser Schüler verlangt nunmehr die Zahlung von 10.000 Euro Schmerzensgeld. Das beklagte Land als Schulträger hält die Klage für unbegründet. Die Haftung für derartige Unfälle im Schulbetrieb sei in speziellen Vorschriften des Sozialgesetzbuches geregelt, nach denen der Schüler Schadensersatz erhalten könne. Die Zahlung eines zusätzlichen Schmerzensgeldes sei nach diesen Vorschriften aber grundsätzlich ausgeschlossen und komme nur dann in Betracht, wenn der streitgegenständliche Unfall vorsätzlich (und nicht bloß fahrlässig) herbeigeführt worden wäre. Davon könne im vorliegenden Fall keine Rede sein.

Das LG Osnabrück hat die Klage nach insgesamt drei Terminen zur Beweisaufnahme, in denen insbesondere die Lehrerin und die beteiligten Schüler zum Ablauf des Unfalls befragt wurden, abgewiesen.

Nach Auffassung des Landgerichts ist für die Folgen eines solchen Schulunfalls nach den sozialrechtlichen Vorschriften grundsätzlich nur die zuständige Unfallversicherung eintrittspflichtig, womit eine gesetzlich angeordnete Haftungsprivilegierung des Schulträgers verbunden sei. Mithin seien weitergehende Ansprüche wie Schmerzensgeldansprüche bei einer lediglich fahrlässigen Handlungsweise gesetzlich ausgeschlossen. Dass der Lehrerin im vorliegenden Fall eine vorsätzliche Handlungsweise anzulasten sei, habe die durchgeführte Beweisaufnahme nicht bestätigt. Es bleibe daher bei dem gesetzlichen Ausschluss von Schmerzensgeldansprüchen gegen den Schulträger; alle sonstigen Unfallfolgen seien über die Sozialversicherung zu regulieren.

Donnerstag, 8. Januar 2015

Keine Erwerbsminderungsrente nach Unfallfahrt ohne Fahrerlaubnis

Ein Mann ohne Führerschein und mit 1,39 Promille verursacht einen Verkehrsunfall und wurde aufgrund der Verletzungen voll erwerbsgemindert. Das Amtsgericht verurteilte den 29-jährigen Mann wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr und vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten auf Bewährung.

Die Rentenversicherung lehnte seinen Antrag auf Erwerbsminderungsrente ab, weil er sich grob selbstgefährdend verhalten habe. Er habe alkoholisiert und ohne Fahrerlaubnis ein Kraftfahrzeug geführt und sich damit eigenmächtig über anerkannte Grundprinzipien der Versichertengemeinschaft hinweggesetzt. Wer bewusst gegen Strafgesetze verstoße, die den Eintritt eines Schadensereignisses verhindern sollen, könne keine Versicherungsleistungen beanspruchen.

Das LSG Darmstadt hat, wie auch die Vorinstanz, der Rentenversicherung Recht gegeben.

Nach Auffassung des Landessozialgerichts kann die Rente versagt werden, wenn die Erwerbsminderung infolge der Ausübung einer strafbaren Handlung eingetreten ist. Voraussetzung sei eine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung für ein Verbrechen oder ein vorsätzliches Vergehen. Der Versicherte sei wegen vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis verurteilt worden. Der bei dieser Tat eingetretene Unfall habe zur Erwerbsminderung geführt. Der Mann sei auch nicht nur "bei Gelegenheit" dieses Vergehens aufgrund eines fremdverschuldeten Verkehrsunfalls ohne eigenes Zutun verletzt worden. Vielmehr, so betonten die Richter, habe sich genau jene Gefahr realisiert, wegen derer der Versicherte zuvor durch den – bereits wiederholten – Entzug der Fahrerlaubnis "aus dem Verkehr gezogen" werden sollte.

Ob bei strafbaren Handlungen die Rente zu versagen sei, hänge von der Abwägung der Gesamtumstände ab. Dabei sei zu berücksichtigen, dass das Sozialversicherungsrecht einerseits keine strafrechtliche Funktion habe, andererseits strafbares Verhalten aber auch nicht leistungsrechtlich "belohnt" werden solle. Neben der Schwere der Tat seien zudem Tathergang und die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Versicherten zu beachten. Dies habe die Rentenversicherung bei ihrer Ermessensentscheidung zutreffend berücksichtigt.