Donnerstag, 20. Dezember 2012

Privatbesuche schließen Schutz gesetzlicher Unfallversicherung nicht aus

Ein geschäftlich Reisender war für mehrere Tage in einem Hotel untergebracht. An einem dieser Tage traf er sich nach Geschäftserledigung auch noch privat. Auf dem Rückweg ins Hotel erlitt er einen Unfall. Er begehrt von der gesetzlichen Unfallversicherung die Anerkennung als Arbeitsunfall.

Die unfallversicherung lehnte dies ab unter Verweis auf das private Gepräge der vorherigen Termins.

Auf die Klage hin entschied das LSG Niedersachsen (Urt. v. 18.09.2012, Az. L 3 U 28/12), dass die Rückfahrt zum Hotel im Zusammenhang mit der ausgeübten geschäftlichen Tätigkeit stehe. 
Es würde den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz unangemessen verkürzen, wenn eine betrieblich veranlasste Fahrt (die Rückkehr ins Übernachtungshotel nach einem Geschäftstermin) aufgrund einer kurzen privaten Aktivität nicht mehr erfasst wäre.

Mithin führt ein wenige Stunden dauerndes privates Treffen während einer mehrtägigen Geschäftsreise nicht dazu, dass der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung endgültig verloren geht.

Dienstag, 27. November 2012

Urlaubsabgeltung und ALG II

Einer Leistungsberechtigten stand bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Resturlaubsanspruch zu, welcher durch eine Urlaubsabgeltung in Höhe von ca. 400 Euro brutto (ca. 300 Euro netto) ausgezahlt wurde. Das aufgrund der eingetretenen Arbeitslosigkeit zuständige Jobcenter rechnete diesen Betrag als Einkommen mindernd auf das der Leistungsberechtigten und ihrem Ehemann bewilligte Arbeitslosengeld II an.

Die Leistungsberechtigte klagte hiergegen und hatte Erfolg. Das Sozialgericht Düsseldorf hat das Jobcenter zu einer Auszahlung des angerechneten Betrags verurteilt.

Bei der gezahlten Urlaubsabgeltung handelt es sich um eine zweckbestimmte Einnahme, die nach den Bestimmungen des SGB II nicht als Einkommen anzurechnen sei. Die Urlaubsabgeltung diene einem anderen Zweck als das Arbeitslosengeld II. Während Letzteres als staatliche Existenzsicherung den Lebensunterhalt des Begünstigten gewährleisten soll, diene die Urlaubsabgeltung allein dazu, den (vormaligen) Arbeitnehmer für die aus betrieblichen Gründen entgangenen Urlaubsfreuden zu entschädigen. Die Urlaubsabgeltung sei daher mit einer Entschädigungszahlung zu vergleichen, die den Empfänger finanziell in die Lage versetzen solle, die verpasste Erholungsphase durch anderweitige Aktivitäten (Restaurantbesuche, Wellness oder Ähnliches) nachzuholen. Um diesen Zweck nicht zu unterlaufen, sei die Urlaubsabgeltung nicht auf das Arbeitslosengeld II anzurechnen.

Dienstag, 23. Oktober 2012

Dresdner Busfahrer sind Arbeitnehmer und keine Selbständige

Ein von den Dresdner Verkehrsbetrieben mit Linienfahrten beauftragtes Tochterunternehmen muss nach einer Entscheidung des Sozialgerichtes Dresden Sozialversicherungsbeiträge für Busfahrer nachzahlen, die es in den Jahren 2003 bis 2006 als angeblich Selbstständige nach Bedarf im Fahrdienst eingesetzt hatte.

Im Gegensatz zu den offiziell als Arbeitnehmer angestellten Busfahrern verfügten die betroffenen Busfahrer selbst über eine Gewerbeeintragung als selbstständige Unternehmer. Es stand ihnen im Einzelfall frei, die Fahraufträge des Busunternehmens anzunehmen. Das Entgelt wurde ohne Beachtung der geltenden Tarifverträge einzeln ausgehandelt. Urlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wurden nicht gewährt. Busse und Dienstbekleidung sowie ein Fahrscheinmodul wurde durch das Busunternehmen zur Verfügung gestellt.

Nach einer Betriebsprüfung im Jahr 2007 stellte die Deutsche Rentenversicherung Mitteldeutschland fest, dass die Busfahrer eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausübten und deshalb der Sozialversicherungspflicht unterlägen.

Nach Auffassung des Sozialgerichts waren die Busfahrer Arbeitnehmer des Busunternehmens. Ein Dienstverhältnis sei nicht allein deshalb als selbstständige Tätigkeit zu qualifizieren, weil der Dienstherr dem Dienstnehmer ebenso zwingende wie elementare Arbeitnehmerrechte vorenthalte. Die Busfahrer trugen vielmehr mangels eigener Betriebsmittel kein unternehmerisches Risiko. Sie waren weder in unternehmerische Entscheidungen eingebunden noch über das fest vereinbarte Entgelt hinaus am Gewinn des Unternehmens beteiligt.

Montag, 2. Juli 2012

temporäre Bedarfsgemeinschaft

2 minderjährige Kinder lebten überwiegend bei ihrem Vater in Mainz, besuchten aber die ebenfalls in Mainz wohnende Mutter an jedem zweiten Wochenende und übernachteten einmal wöchentlich bei ihr. Zusätzlich verbrachten die Kinder die Hälfte der Schulferien bei der Mutter. Der Vater erhielt zwar Unterhaltsvorschuss und Kindergeld für die Kinder, er war jedoch zu einer anteiligen Weiterleitungen dieser Sozialleistungen an die Mutter nicht bereit.

Die Mutter, die auch für ihren eigenen Bedarf auf Leistungen des Job-Centers angewiesen war, stellte aus diesem Grund einen Antrag beim Job-Center auf Leistungen für ihre Kinder. Sie wies darauf hin, dass zwischen ihr und den Kindern an den Besuchstagen eine sog. temporäre (zeitweise) Bedarfsgemeinschaft bestehen würde, deren Bedarf nicht vollständig gedeckt sei. Das Job-Center lehnte den Antrag auf Gewährung von Leistungen für die Kinder während der Besuchstage ab und verwies auf die dem Vater ausgezahlten Leistungen, die als Einkommen der Kinder zu berücksichtigen seien.

Das SG Mainz(S 3 AS 312/11)hat diesen Bescheid aufgehoben und der Klage stattgegeben.

Es hat entschieden, dass die dem Vater gewährten Sozialleistungen, die den Kindern aber tatsächlich nicht für den Besuchsaufenthalt bei ihrer Mutter mitgegeben wurden, nicht als Einkommen der Kinder berücksichtigt werden dürfen. Das Sozialgericht hat außerdem klargestellt, dass eine temporäre Bedarfsgemeinschaft zwischen den Kindern und der Mutter auch an den Tagen besteht, an denen sich die Kinder nur kurz bei der Mutter aufgehalten haben, und den Rest des Tages in einer öffentlichen Einrichtung (Kindergarten bzw. Grundschule) betreut wurden. Entscheidende Voraussetzung für einen Anspruch auf Leistungen gegen das Job-Center im Rahmen der zeitweisen Bedarfsgemeinschaft sei, dass sich die Kinder an dem Besuchstag länger bei der Mutter als bei ihrem Vater aufhalten.

Dienstag, 26. Juni 2012

kein Mehrbedarf für "Abholservice"

Das SG Heilbronn (S 11 AS 1953/12 ER) hat entschieden, dass ein Vater, der seine (bei der Mutter lebenden) Kinder zum Wochenendbesuch bei der Mutter abholt, obwohl die Kinder ohne elterliche Begleitung anreisen könnten, seine Fahrtkosten nicht als Hartz IV-Mehrbedarf geltend machen kann.

Dienstag, 19. Juni 2012

zahlt das Amt den Friseur?

Die mit ihrem Sohn in einer Bedarfsgemeinschaft wohnende Sozialleistungsberechtigte begehrt höheres Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.06. bis 30.11.2008. Sie nahm ab dem 01.06.2008 eine Halbtagsbeschäftigung bei der Deutschen Vermögensberatung AG auf. Die Sozialbehörde bewilligte Leistungen für Juni 2008 in Höhe von 675,89 Euro, für Juli 2008 in Höhe von 107,28 Euro und für August bis November 2008 in Höhe von 108,66 Euro.

Mit ihrem Widerspruch wandte sich die Leistungsberechtigte gegen die Nichtberücksichtigung der Aufwendungen für Business-Kleidung und Friseurbesuche als Abzugsposten vom zu berücksichtigenden Einkommen.

Das erstinstanzliche Sozialgericht hat die Klage abgewiesen. Hinsichtlich der geltend gemachten Aufwendungen fehle es – unter Beachtung der steuerrechtlichen Grundsätze – an einer Berücksichtigungsfähigkeit als Werbungskosten. Im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsordnung seien auch im Bereich des SGB II dieselben Grundsätze anwendbar wie im Steuerrecht. Diesbezüglich ergäben sich keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Dem folgte im wesentlichen das Landessozialgericht.

Im Verfahren vor dem Bundessozialgericht (B 4 AS 163/11 R) trägt die Leistungsberechtigte vor, dass sie im Büro und bei Außenterminen, bei denen sie ihren Chef begleiten müsse, sowie bei Schulungen repräsentative Kleidung tragen müsse. Dies umfasse auch die Benutzung von Kosmetika und Friseurbesuche. Die steuerrechtlichen Regelungen zur Absetzungsmöglichkeit für Business-Kleidung und Friseurbesuche seien auf einen SGB II-Bezieher nicht anwendbar, weil sie ansonsten für die Ausübung ihrer Berufstätigkeit auf das Existenzminimum zurückgreifen müsse.

Heute (19.06.2012) verhandelt das Bundessozialgericht darüber.

Ergänzung vom 20.06.2012: Laut Medienbericht des BSG verbleibt es auf den ersten Blick bei den Ausgangsentscheidungen. U.a. wird ausgeführt:

"Grundsätzlich ist die für das SGB II maßgebende Vorschrift gegenüber der steuerrechtlichen Regelung für die sog Werbungskosten enger, weil nur die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Aufwendungen berücksichtigt werden können, während das Steuerrecht es genügen lässt, dass die fraglichen Ausgaben durch den Beruf des Steuerpflichtigen veranlasst sind. Auf dieser Grundlage können die fraglichen Aufwendungen - entsprechend der Sichtweise im Steuerrecht - nicht als mit der Erzielung des Einkommens notwendig verbundene Aufwendungen anerkannt werden. Hinsichtlich der Aufwendungen für Bekleidung gilt, dass nur die typische Berufskleidung als Abzugsposten berücksichtigungsfähig ist. Merkmal der typischen Berufskleidung ist entweder ihre Unterscheidungsfunktion oder ihre Schutzfunktion. Beide Funktionen treffen auf die Business-Kleidung nicht zu. Im Ergebnis nichts anderes gilt hinsichtlich der Aufwendungen für Friseurbesuche, denn hierbei handelt es sich um sog gemischte Aufwendungen, die zugleich dem privaten und beruflichen Lebensbereich zugeordnet werden können und grundsätzlich durch die Regelleistung abgedeckt werden."


Aber dann kommt die Hintertür:

"Eine über die steuerrechtlichen Grundsätze hinausgehende Berücksichtigung von Aufwendungen ist allerdings nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts geboten, wenn dieses durch das zentrale Anliegen des SGB II, den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten bei der Aufnahme oder Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit zu unterstützen, gefordert wird. Insoweit war hier aber zu berücksichtigen, dass für die von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen grundsätzlich die Eingliederungsleistungen des SGB II zur Verfügung stehen."

Ob der Leistungsberechtigten insoweit ein weitergehender Leistungsanspruch zusteht, konnte das BSG (noch) nicht entscheiden.

Dienstag, 5. Juni 2012

kein Konzept zu Kosten der Unterkunft in Dresden

In einem Rechtsstreit zwischen Leistungsberechtigten und dem Jobcenter Dresden ging es auch um das Konzept zur Ermittlung der Kosten der Unterkünfte in Dresden durch das Gutachten des Institut Wohnen und Umwelt in Darmstadt (IWU).

Dabei stellte das Sächsische LSG (Beschluss vom 29. Mai 2012 (Az. L 7 AS 24/12 B ER)) fest, dass dieses zur Anwendung gelangte Konzept unschlüssig ist und stellt dar, welche Kosten der Unterkunft nun vorlaüfig zu Bemessung der SGB II - Leistungen heranzuziehen sind.

Es ist daher derzeit davon auszugehen, dass die bisherigen Festsetzungen zumindest angreifbar erscheinen.

Dienstag, 29. Mai 2012

Keine Umzugskostenbeihilfe bei Umzug nach Deutschland

Eine Sozialleistungsberechtigte lebte schon längere Zeit in Deutschland bevor sie Ende 2011 auf die Insel Madeira zog, um dort eine Existenz aufzubauen. Aus persönlichen und wirtschaftlichen Gründen reiste sie Anfang 2012 wieder nach Deutschland ein und beantragte Arbeitslosengeld II, welches ihr auch bewilligt wurde. Sie begehrte zudem finanzielle Unterstützung für die Kosten der Überführung ihres auf Madeira verbliebenen Hab und Gutes, insbesondere von Unterlagen. Zuletzt begehrte sie die Übernahme dieser Kosten als Darlehen. Das Jobcenter lehnte dies ab, da es hierfür keine Rechtsgrundlage gebe.

Das SG Mainz (Az.: S 10 AS 412/12 ER) bestätigte die Aufassung des Jobcenters.

Nach Auffassung des Sozialgerichts ist die für Umzugskosten von Empfängern von Arbeitslosengeld II vorgesehene Vorschrift nicht für Umzüge aus dem Ausland nach Deutschland anwendbar, da die Einwanderung in das deutsche Sozialsystem nicht bezuschusst werden solle. Ein Darlehen könne ebenfalls nicht gewährt werden, da sonst die erwähnte Vorschrift zu den Umzugskosten umgangen werde. Zudem habe die Antragstellerin nicht dargetan, dass die auf Madeira verbliebenen Gegenstände und Unterlagen unentbehrlich seien. Ausweispapiere stünden der Antragstellerin noch zur Verfügung, sonstige Unterlagen könnten ersetzt werden.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.

Donnerstag, 24. Mai 2012

Münzsammmlung = verwertbares Vermögen

Der Grundsicherungsträger hatte einen Antragsteller auf Leistungen nach dem SGB II im Hinblick auf die Verwertbarkeit seiner Münz- und Briefmarkensammlung nicht als hilfebedürftig angesehen und Arbeitslosengeld II nur darlehensweise gewährt hat.

Die Antragsteller war der Auffassung, die Sammlung könne wegen Unwirtschaftlichkeit des Verkaufs bzw. wegen einer besonderen Härte bei einem Verkauf nicht als Vermögen berücksichtigt werden. Ein zu erwartender Verkaufserlös liege deutlich unter den Anschaffungskosten, weil bei einem Verkauf, je nach Verwertungsweg, Abschläge von 35 bis 40% hingenommen werden müssten. Der Sozialleistungsträger hat ein Sachverständigengutachten veranlasst, um den Wert der Münzsammlung zu ermitteln. Anhand vorgelegter Quittungen kam der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass der Wert der Münzsammlung auf 21.432 Euro zu schätzen sei. Er legte der Ermittlung den Ankaufswert der Münzen unter Berücksichtigung der Auktionsergebnisse aus dem Jahre 2005 zugrunde. Der Antragsteller gab die Anschaffungskosten mit 53.609,70 DM (27.410,20 Euro) an. Der Sozialleistungsträger hat nach Abzug von Freibeträgen in Höhe von insgesamt 9.750 Euro beim Antragsteller ein Vermögen in Höhe von insgesamt 12.580,92 Euro zugrunde gelegt und die Hilfdebedürftigkeit abgelehnt.

Hiergegen klagte der Antragsteller.

Das BSG hat am 23.05.2012 (Az: B 14 AS 100/11 R) die Revision des Antragsstellers zurückgewiesen und entschieden, dass der beklagte Grundsicherungsträger die Münzsammlung zu Recht als verwertbares Vermögen angesehen hat.

Der Verwertbarkeit der Münzsammlung stehe weder eine offensichtliche Unwirtschaftlichkeit noch eine besondere Härte entgegen. Das Vorliegen von offensichtlicher Unwirtschaftlichkeit könne bei einer Münzsammlung nicht nach denselben Kriterien beurteilt werden, die in der Rechtsprechung für die Verwertung einer Kapitallebensversicherung entwickelt worden sind, denn es sei nach der Art der Vermögensgegenstände zu differenzieren. Eine feste Grenze der Unwirtschaftlichkeit könne bei frei handelbaren Gegenständen, die den Gesetzen des Marktes mit schwankenden Preisen unterliegen, nicht gezogen werden. Der Gesetzgeber des SGB II verfolge im Übrigen nicht das Ziel, jede vor Eintritt der Bedürftigkeit vorhandene Vermögensposition zu schützen, sondern nur einen wirtschaftlichen Ausverkauf zu verhindern. Den Feststellungen des Landessozialgerichts ließen sich auch keine Umstände entnehmen, die seine Wertung, die Pflicht zur Verwertung der Münzsammlung stelle keine besondere Härte dar, als rechtsfehlerhaft erscheinen lässt.

Dienstag, 15. Mai 2012

Leistungssport Müllentsorgung

Ein Müllwerker erlitt im Jahre 2005 während seiner beruflichen Tätigkeit ein Verdrehtrauma im rechten Kniegelenk. Die medizinische Untersuchung ergab eine ausgeprägte degenerative Meniskopathie. Die Berufsgenossenschaft lehnte eine Entschädigung des Arbeitsunfalls mit der Begründung ab, dass die Erkrankung keine Unfallfolge sei. Es liege auch keine Berufskrankheit vor, da Müllwerker nicht entsprechenden Kniebelastungen ausgesetzt seien. Der seit 1993 bei einem privaten Müllentsorgungsunternehmen beschäftigte Müllwerker, klagte auf Anerkennung einer Berufskrankheit.

Die Richter des LSG Hessen (AZ: L 9 U 211/09) verurteilten die Berufsgenossenschaft zur Anerkennung der Berufskrankheit. In der Pressemitteilung teilt das Gericht mit:

"Müllwerker seien bei ihrer Tätigkeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung Belastungen der Kniegelenke ausgesetzt. Dies resultiere aus der häufigen und erheblichen Bewegungsbeanspruchung insbesondere beim Laufen und Springen mit häufigen Knick-, Scher- oder Drehbewegungen auf unebenem Untergrund. Solche Belastungen mit reflektorisch unkoordinierten Bewegungsabläufen lägen auch bei Rangierern sowie bei Hochleistungssportlern wie Fußball-, Handball- und Basketballspielern vor, deren Meniskuserkrankungen als Berufskrankheiten anerkannt würden. Die Tätigkeit eines Müllwerkers sei aufgrund der häufigen Sprungbewegungen auf bzw. von dem Trittbrett des Fahrzeugs mit der eines Rangierers vergleichbar. Die schnellen und unregelmäßigen Lauf- und Drehbewegungen beim Verbringen der Mülltonnen seien den Bewegungsabläufen der Profiballsportler ähnlich.

Entgegen der Annahme der Berufsgenossenschaft sei die Tätigkeit von Müllwerkern auch nicht von einem kontrollierten Besteigen des Trittbretts - vergleichbar dem Benutzen einer Leiter oder Treppe - geprägt. Diese Vorstellung entspreche allenfalls den bestehenden Arbeitsschutzbedingungen, nicht aber der alltäglichen Lebenswirklichkeit von Müllwerkern.

Im Fall des klagenden Müllwerkers seien zudem die Meniskuserkrankung vor dem 50. Lebensjahr aufgetreten und berufsunabhängige Risikofaktoren auszuschließen, so dass die Berufskrankheit anzuerkennen sei."


Nun denn liebe Müllwerker - Auf die Plätze fertig los! Und sich nicht von der Berufsgenossenschaft bremsen lassen.

Montag, 14. Mai 2012

ein Rechtsstreit um 3,26 €

Ein Jobcenter lud im Januar 2010 eine ALG 2 - Leistungsberechtigte zu einer persönlichen Vorsprache ein. Dafür erstattete das Jobcenter als Fahrkosten für die kürzeste Strecke von 19 km und unter Berücksichtigung der tagesaktuellen Kraftstoffpreise 5.34 €.

Dagegen wandte sich die Leistungsberechtigte. Sie habe witterungsbedingt eine um 2 km längere, aber sichere und schnellere Fahrtstrecke genommen. Die tatsächlichen Kosten lägen über den reinen Spritkosten. Schließlich hätte eine zeitaufwendige Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln sogar 8,80 Euro gekostet.

Das LSG München (Az.: L 11 AS 774/10) hat der Leistungsberechtigten Recht gegeben und das Job-Center zur vollständigen Übernahme der Reisekosten nach dem Bundesreisekostengesetz i.H.v. 8,60 Euro verurteilt.

Wer zu einem Meldetermin eingeladen werde, muss dem zwingend folgen. Deshalb muss das einladende Jobcenter auch die Fahrtkosten erstatten. Die Erstattungshöhe stehe zwar im Ermessen der Behörde, das von den Gerichten grundsätzlich nur eingeschränkt geprüft werden könne. Aber jede andere Entscheidung als die vollständige Kostenübernahme sei rechtswidrig (Ermessensreduzierung auf Null - im Urteil heisst es hierzu: "Es ist bei Beziehern von Alg II regelmäßig keine andere ermessensgerechte Entscheidung denkbar, als die notwendigen Kosten der Klägerin zu übernehmen. Insofern ist im Hinblick auf die Bedürftigkeit der Klägerin die vollständige Kostenübernahme angezeigt, insbesondere auch wegen der drohenden Sanktionsfolge bei Nichtwahrnehmung des Termins. Für ein Abweichen von diesem Regelfall bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte."). Liegen nachvollziehbare Gründe vor, sei nicht die kürzeste, sondern die verkehrsgünstigste Fahrtstrecke maßgeblich. Bei Benutzung eines PKW richtet sich die Erstattungshöhe nach dem Bundesreisekostengesetz und umfasse nicht nur die Benzinkosten.

Bemerkenswert ist auch die Feststellung zu dem mit der Klage verfolgten Differenzbetrag von 3,26 €:

"Insofern handelte es sich vorliegend auch nicht um ganz geringfügige Kosten, denn die der Klägerin zustehenden Fahrtkosten iHv insgesamt 8,60 EUR stellen im Vergleich zum Tagessatz der Regelleistung im Rahmen des Alg II einen erheblichen Betrag dar."

Nutzer eines eigenen PKW sollten sich folgende Urteilsausführungen zu eigen machen:

"Nach § 5 Abs 1 Satz 2 BRKG beträgt bei Benutzung eines Kraftfahrzeuges oder eines anderen motorbetriebenen Fahrzeuges die Entschädigung 20 Cent je Kilometer zurückgelegter Strecke. Bei der zugrunde zu legenden Strecke ist dabei nicht zwingend auf die kürzeste Stecke abzustellen. So wird beispielsweise in § 9 Abs 1 Satz 2 Nr 4 Einkommensteuergesetz (EStG) für die Bestimmung der Entfernung zwar grundsätzlich auf die kürzeste Straßenverbindung zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte abgestellt, jedoch eine andere als die kürzeste Straßenverbindung zugrunde gelegt, wenn diese offensichtlich verkehrsgünstiger ist und vom Arbeitnehmer regelmäßig für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte benutzt wird. Auch die allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum BRKG gehen in Nr 5.1.1. von der "verkehrsüblichen" Strecke aus"

Mittwoch, 25. April 2012

Hartz IV Regelsätze verfassungswidrig?

Als erstes Gericht behauptet dies das die 55. Kammer des SG Berlin und legte deshalb dem Bundesverfassungsgericht diese Frage vor. Dies geht aus der Pressemeldung des SG Berlin vom 25.04.2012 vor.

Betroffene Leistungsbezieher könnten nun überlegen, gegen Bescheide vorsorglich Widerspruch einzulegen unter Hinweis auf die Verfassungswidrigkeit mit Hinweis auf Ruhendstellung bis zur rechtskräftigen Klärung.

Dienstag, 3. April 2012

Opferentschädigung für Prügelei?

Ein 1977 geborener Diskobesucher begann eine Schlägerei mit einem amerikanischen Soldaten, dem Zeugen eine Statur "wie Mike Tyson" bescheinigt hatten. Schon zuvor war es in der Diskothek zu Rangeleien gekommen. Der Amerikaner entpuppte sich als geübter Kampfsportler und schlug den jungen Diskobesucher nach Ausbruch der Schlägerei schnell bewusstlos und versetzte ihm - nach einer kurzen Pause - Serien von Fußtritten gegen den Kopf mit Tötungsabsicht. Später floh der Amerikaner zurück in die USA. Der verprügelte Diskobesucher erlitt u.a. einen Schädelbruch und leidet heute noch unter Gedächtnis- und Sprachstörungen sowie Angstattacken.

Er begehrte nun eine Entschädigungszahlung nach dem Opferentschädigungsgesetz. Die brutalen Tritte nach seiner Bewusstlosigkeit seien nicht vorhersehbar und seinem Verhalten (Beteiligung an Schlägerei) nicht mehr zuzurechnen gewesen. Die Unterbrechung des Geschehens vor der Serie von Tritten habe zu einer Zäsur geführt.

Weder die Entschädigungsbehörde noch das Sozialgericht folgten dieser Ansicht. Auch das LSG Essen (Az.: L 13 VG 68/11) hat eine Entschädigungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz verneint. Eine Schlägerei bildet das Musterbeispiel einer gefährlichen Situation, deren Ausgang nicht vorhersehbar ist. Wer sich hieran beteiligt, muss mit schweren Verletzungen rechnen. Wer eine Schlägerei beginne, gefährde sich leichtfertig selbst und handele grob fahrlässig. In einem solchen Fall schließt das Opferentschädigungsgesetz Entschädigungsleistungen aus.

Donnerstag, 29. März 2012

Gesetzlicher Unfallschutz auf Autobahn bei Unfall

Nach § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII sind kraft Gesetzes Personen gesetzlich unfallversichert, die bei einer gemeinen Gefahr Hilfe leisten. Eine gemeine Gefahr bestehe, wenn eine ungewöhnliche Gefahrenlage vorliegt, bei der ohne sofortiges Eingreifen eine erhebliche Schädigung von Personen oder bedeutenden Sachwerten unmittelbar droht.

Hierum stritt sich ein Unfallopfer mit der Berufsgenossenschaft.

Das spätere Unfallopfer war mit seinem PKW auf der Autobahn unterwegs, als er ein auf der Fahrbahn liegendes Kurbelstützrad eines Anhängers bemerkte. Er hielt sein Fahrzeug auf dem Standstreifen an und erntfernte das Stützrad von der Fahrbahn.

Dann sah er, dass eine Führungshülse des Stützrades - ein 30 cm langes Metallrohr - neben der Mittelleitplanke lag und bis an den Rand der Überholspur ragte. Auch dieses wollte er entfernen. Hierbei wurde er auf der Fahrbahn von einem VW-Bus frontal erfasst und erlitt schwerste Verletzungen.

Die Berufsgenossenschaft und das Sozialgericht lehnte die Feststellung als Arbeitsunfall ab, denn es sei nicht nachgewiesen, dass das Unfallopfer mit der Absicht auf die Fahrbahn zurückgekehrt sei, die Führungshülse von der Autobahn zu entfernen. Zudem habe die Führungshülse keine Gefahr darstellt. Sie habe außerhalb des Fahrstreifens gelegen. Anders sahen das Landessozialgericht und das Bundessozialgericht (Az.: B 2 U 7/11 R) .

Durch die Metallhülse habe eine Gefahrensituation im Sinne des Gesetzes für die Straßenverkehrsteilnehmer aufgrund der Lage des Metallrohres bestanden. Es entspreche einer allgemeinen und gerichtsbekannten Lebenserfahrung, dass Verkehrsteilnehmer ihr Fahrzeug mit hoher Geschwindigkeit aus Unachtsamkeit oder verkehrsbedingt über die Fahrstreifenbegrenzung hinaus auf den Randstreifen steuern und die Führungshülse durch Witterungseinflüsse auf die Fahrbahn geraten kann. Damit waren vorwiegend Motorrad- aber auch Autofahrer in erhöhtem Maße gefährdet. Das Unfallopfer habe bei dieser Gefahrensituation Hilfe geleistet. Die Hilfeleistung beschränke sich nicht auf den unmittelbaren Vorgang der Beseitigung der Gefahr, sondern beginne mit dem Eintritt in den Gefahrenbereich durch das Betreten der Fahrbahn. Die versicherte Tätigkeit des § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII sei ferner nicht auf Hilfeleistungen begrenzt, deren Unterlassen nach § 323c StGB unter Strafe steht. Auch das nicht nach § 323c StGB gebotene Hilfeleisten stehe grundsätzlich unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.

Montag, 19. März 2012

Pflegezeit - auch Fahrtzeiten können berücksichtigt werden

Das LSG Mainz (Az: L 5 P 29/11) hat entschieden, dass die Zeit, die ein in der sozialen Pflegeversicherung Versicherter benötigt, um zu seiner Arztpraxis zu kommen, bei der Ermittlung des Pflegebedarfs zu berücksichtigen ist, wenn der Versicherte Hilfe durch eine Begleitperson für den Weg vom Auto zur Praxis benötigt.

Die Pflegeperson bedurfte aufgrund ihrer Erkrankungen wegen einer bestehenden Sturzgefahr der pflegerischen Hilfe ihres Ehemannes, um vom Fahrzeug zur Arztpraxis zu kommen. Während der Fahrt zur Praxis brauchte sie keine Betreuung.

Das LSG Mainz hat entschieden, dass diese Zeit, bei der ihr Ehemann Fahrer des Transportfahrzeugs war, als Pflegezeit zu berücksichtigen ist.

Einer Aufteilung der Zeiten stehe entgegen, dass für die Begleitung vom Fahrzeug zur Praxis regelmäßig nur der Fahrer zur Verfügung steht. Damit sei in diesen Fällen wie bei Wartezeiten beim Arztbesuch, bei denen ebenfalls kein tatsächlicher Betreuungsaufwand besteht und für die das bereits höchstrichterlich entschieden ist (Bundessozialgericht, Urt. v. 06.08.1998 - B 3 P 17/97 R), ein Pflegebedarf anzunehmen. Die Pflegeperson musste deshalb durch die Pflegekasse in die Pflegestufe I eingestuft werden.

Donnerstag, 15. März 2012

Freibeträge auf Kurzarbeitergeld

Viele Unternehmen zahlten in den letrten Jahren ihren Arbeitnehmern Kurzarbeitergeld aus. Handelte es sich bei den Arbeitnehmern um sogenannte "Aufstocker" (der Lohn reicht nicht zur Deckung des Lebensbedarfs, so dass zusätlich SGB II - Leistungen bezogen werden) stellte sich die Frage, ob das empfangene Kurzarbeitergeld um die Freibeträge auf Einkommen zu kürzen ist oder nicht. Das Jobcenter rechnete das Kurzarbeitergeld voll als Einkommen an. Der betroffene Arbeitnehmer machte hingegen geltend, dass vom Kurzarbeitergeld die Freibeträge abzuziehen seien.

Das Bundessozialgericht (Az.: B 14 AS 18/11 R) gab dem "Aufstocker" recht. Voraussetzung für einen Freibetrag ist ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit. Der Freibetrag soll ein Anreiz für die Aufnahme oder zur Aufrechterhaltung von bereits bestehender Erwerbstätigkeit sein. Die Funktion von Kurzarbeitergeld geht in dieselbe Richtung: Trotz Arbeitsausfalls und eines damit einhergehenden Entgeltverlustes soll das Arbeitsverhältnis aufrecht erhalten bleiben (vgl § § 169 ff SGB III).

Dienstag, 13. März 2012

Ein Schreibtisch für die Kleinsten - Jobcenter muss zahlen

Ein sechsjähriges Kind lebte zusammen mit seiner studierenden Mutter, dem 10-jährigen Bruder und der neugeborenen Schwester in einer Dreizimmerwohnung. Im Zusammenhang mit der Einschulung beantragte das Kind 2008 unter anderem Leistungen für die Anschaffung eines Schülerschreibtisches. Den Schreibtisch im Zimmer ihrer Mutter könne sie nicht benutzen, da diese selbst studiere und dort auch die kleine Schwester schlafe. Der – selbst gebaute – Schreibtisch im Zimmer des Bruders komme nicht in Betracht, da er ihn selbst brauche und oft Freunde zu Besuch habe. In der kleinen Küche fehle die erforderliche Ruhe.

Das zuständige Jobcenter lehnte die Kostenübernahme ab. Der jungen Schülerin sei es zuzumuten, einen der vorhandenen Schreibtische zu benutzen. Daraufhin kaufte sich die Schülerin aus eigenen Mitteln einen Schreibtisch für 120 Euro und erhob Klage vor dem Sozialgericht.

Das SG Berlin (Az.:S 174 AS 28285/11 WA) hat der Klage stattgegeben und das Jobcenter zur Kostenerstattung in Höhe von 70 Euro verurteilt.

Nach Auffassung des Sozialgerichts ist die erstmalige Anschaffung eines Schülerschreibtisches eine "Erstausstattung für die Wohnung", für die das Jobcenter die Kosten zu erstatten habe. Wie bereits das Bundessozialgericht ausgeführt habe, fielen unter den Begriff der Erstausstattung sämtliche Einrichtungsgegenstände, die für eine geordnete Haushaltsführung notwendig seien und dem Leistungsberechtigten ein an den herrschenden Lebensgewohnheiten orientiertes Wohnen ermöglichten.

Jedenfalls in der konkreten Situation habe ein entsprechender Bedarf für das klagende Kind bestanden. Ein eigener Schreibtisch sei notwendig, um ihr die Erledigung ihrer Hausaufgaben in einer Atmosphäre zu ermöglichen, die einen Lernerfolg vermuten lasse. Dadurch werde letztendlich auch der Gefahr begegnet, dass der Steuerzahler später durch weitere Leistungen für Bildung und Teilhabe mit Kosten belastet werde, die weitaus höher seien als die umstrittene Kostenerstattung.

Eine Internetrecherche des Sozialgerichts habe allerdings ergeben, dass gebrauchte Kinderschreibtische nur rund 70 Euro kosteten. Auf diesen Betrag sei die Erstattungsforderung daher zu beschränken gewesen.

Dienstag, 28. Februar 2012

Arbeitsunfall Gedächtnisverlust

Um Leistungen aus einem Arbeitsunfall zu erhalten, muss mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ nachgewiesen werden, dass ein Arbeitsunfall vorliegt. Dass dies nicht immer einfach ist, besonders bei Gedächtnisverlust, zeigt der vom Bundessozialgericht (AZ: B 2 U 2/11 R) entschiedene Sachverhalt.

Ein LKW-Fahrer fiel auf, nachdem er nach einer längeren Pause auf einem Rastplatz am Abladeort ankam und dortigen Mitarbeitern desorientiert und bewusstseinsgetrübt erschien. Ein Arzt stellte ein Schädel-Hirn-Trauma sowie Gedächtnisverlust fest. An ein Unfallereignis hatte er keinerlei Erinnerung.

Nun ging es darum, dass dieser "Unfall" als Arbeitsunfall anerkannt wird, was die zuständige Berufsgenossenschaft ablehnte. Es sei nicht bewiesen, dass der Unfall sich während einer versicherten Tätigkeit ereignet habe.

Mit seiner Klage hatte der verunfallte LKW-Fahrer keinen Erfolg. Es seien keine Tatsachen vorgetragen, dass der Unfall sich während der versicherten Tätigkeit ereignet habe.

Dienstag, 14. Februar 2012

psychische Folgen einer Berufskrankheit und die Rente

Eine Laborassistentin zog sich während ihrer beruflichen Tätigkeit eine chronische Leberentzündung (Hepatitis) zu. Seit Dezember 1993 erhielt sie von der Berufsgenossenschaft eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H..

Nach verschiedenen Untersuchungen vertrat die Berufsgenossenschaft die Auffassung, durch die medikamentöse Behandlung sei es zu einer vollständigen Ausheilung gekommen und ziog die Rente ab Juni 2009 ein. Die Laborassistentin begehrte weirtere Rentenzahlung unter Hinweis darauf, dass sie körperlich und seelisch wenig belastbar sei und weiterhin unter Beschwerden wie Schlaflosigkeit, Interessenverlust und depressiver Verstimmung leide.

Das Sozialgericht Detmold (Az.: S 14 U 161/09) hat die von der Laborassistentin benannten Beeinträchtigungen als Folge der Berufskrankheit eingeordnet und ihr die Verletztenrente zugesprochen.

Die psychischen Folgen seien als mittelbare Schädigung der antiviralen Therapie oder der Hepatitis anzusehen, selbst wenn es mit Hilfe der Medikamente gelungen ist, den Zerstörungsprozess der Leberzellen zu stoppen. Für das Vorliegen anderer die Symptome erklärender Erkrankungen bestünden keine Anhaltspunkte.

Auch mit Kritik an der Berufsgenossenschaft hält sich das Sozialgericht nicht zurück. Hätte die Berufsgenossenschaft nicht die rein somatische Betrachtung in den Vordergrund ihrer Beurteilung gestellt, wäre eine positive Beeinflussung des Krankheitsverlaufs durch frühzeitige psychotherapeutische Begleitung möglich gewesen.

Montag, 13. Februar 2012

Gonarthrose trotz fehlenden belastungskonformen Schadensbildes

Ein seit 1979 als Estrichleger Arbeitender war seit 12. März 2007 arbeitsunfähig. Dessen Krankenkasse erstattete gegenüber der Berufsgenossenschaft ene Anzeige einer Berufskrankheit wegen einer primären Gonarthrose im Kniegelenk beidseits.

Eine Voraussetzung für die Anerkennung einer Gonarthrose als Berufskrankheit ist die Kniebelastuzng von mehr als 13.000 Stunden. Dies war unstreitig der Fall. Dennoch lehnte die Berufsgenosschaften eine Anerkennung als Berufskrankheit ab und meinte, eine Gonarthrose müsse das Ausmaß nach Kellgren 2-4 aufweisen (was aber nicht bei beiden Knien der Fall se) und es bestünden mit der Varusfehlstellung und der Adipositas konkurrierende Ursachen.

Auf die Klage vor dem SG Heilbronn (Urteil vom 14.12.2011, S 6 U 1145/09) hin erhielt der Kläger Recht. Dieses Sozialgericht kam zu dem Schluß, dass nach heutigem Erkenntnisstand sich ein belastungskonformes Schadensbild für die Gonarthrose nach Nr. 2112 der Anlage zur BKV nicht definieren liese. Sofern die Mindesteinwirkungsdauer von 13.000 Stunden kniebelastender Tätigkeit im Sinne der Berufskrankheit nach Nr. 2112 der Anlage zur BKV vorliegt, ist eine Gonarthrose hinreichend wahrscheinlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen, es sei denn es liegen Konkurrenzursachen vor, denen gegenüber der Verursachungsbeitrag der versicherten Tätigkeit in den Hintergrund tritt.

Letzteres war nicht der Fall.

Insoweit sind die Ausführungen in der Entscheidungsbegründung Randziffern 26 und 27 für Betroffene interresant.

Donnerstag, 2. Februar 2012

Unfall unter Alkoholeinfluss = Arbeitsunfall?

Nach dem Sozialgesetzbuch VII ist ein Wegeunfall als Unterart eines Arbeitsunfalles anerkannt (§§ 7, 8 Abs.1 und 2 Nr.1 SGB VII) und eine Berufsgenossenschaft erbringt die entsprechenden Leistungen. Doch was gilt, wenn der Unfall auf dem Weg zur Arbeit oder nach Hause unter Alkoholeinfluss erfolgt? Liegt auch dann ein Arbeitsunfall vor?

Ein bei einer Berufsgenossenschaft Versicherter erlitt auf dem Heimweg von seiner Arbeitsstätte einen Verkehrsunfall. Er verstarb an der Unfallstelle. Eine um ca. 1 h später durchgeführte Blutentnahme ergab eine Blut-Alkohol-Konzentration (BAK) des Versicherten von 0,93 0/00.

Die Berufsgenosschaft lehnte Leistungen wegen eines Arbeitsunfalles ab und verwies darauf, dass der Unfall rechtlich wesentlich alleine auf eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit zurückzuführen sei.

Auf die Klage vor dem SG hin und der anschließenden Berufung musste sich die Berufsgenossenschaft vor dem Bay. Landessozialgericht (14.12.2011, Az.: - L 2 U 566/10) eines besseren belehren lassen. Auszugsweise liest sich das we folgt:

"Neben der BAK muss somit aus weiteren Beweisanzeichen auf alkoholtypische Ausfallerscheinungen und darauf geschlossen werden können, dass der Versicherte wegen der Folgen des Alkoholgenusses fahruntüchtig und damit der Alkoholgenuss die überragende Ursache für das Unfallereignis war (BSG vom 30.01.2007, Az.: B 2 U 23/05 R). Typisch alkoholbedingtes Verhalten ist ein Verhalten, das bei nachgewiesenem Alkoholgenuss nach Lage des Falles anders als mit Trunkenheit vernünftig nicht erklärt werden kann (Ricke, a.a.O., Rdnr.112). Nicht alkoholtypisch sind hingegen die Verhaltensweisen, die, wenn auch objektiv fehlerhaft, bei einer Vielzahl von Verkehrsteilnehmern in vergleichbaren Situationen vorkommen können. Dabei kann das Verhalten vor, bei und nach dem Unfall zu würdigen sein (BSGE 45, 285, 289; BSG vom 30.01.2007 a.a.O.).

Alkoholtypischen Ausfallerscheinungen wurden jedoch durch die Berufsgenossenschaft nicht zur Überzeugung des Gerichtes nachgewiesen. Nach Aufassung des Gerichtes deutete der lange Arbeitstag des Versicherten darauf hin, dass eine "betriebsbedingte" Ermüdung vorlag und unfallursächlich war. Mithin war von einem Arbeitsunfall auszugehen und die Berufsgenosschenschaft muss leisten, insbesondere Halbwaisenrente.

Dienstag, 31. Januar 2012

Datenschutz und ALG II oder muss sich der Leistungsbezieher schämen

Darf eine Behörde Dritte über den Leistungsbezug informieren? Diese Frage stellte sich dem Bundessozialgericht in einem Verfahren.

Hintergrund
Ein Ehepaar, welches Arbeitslosengeld II bezieht, bewohnten zusammen mit mehreren Kindern und weiteren Familienangehörigen bis Ende Februar 2008 ein 125 qm großes Haus. Das Mietverhältnis wurde von der Vermieterin, vertreten durch den Haus- und Grundbesitzerverein, gekündigt. Das mietende Ehepaar hatte eine von ihnen selbst aufgebrachte Kaution in Höhe von 2.611,78 Euro hinterlegt. Im Dezember 2007 unterzeichneten sie einen Mietvertrag für ein anderes Haus. Das Mietverhältnis sollte am 15.02.2008 beginnen und der neue Vermieter forderte eine Mietkaution in Höhe von 1.700 Euro.

Das Ehepaar beantragte die darlegensweise Zahlung der Kaution durch die Sozialbehörde, weil Kautionen regelmäßig erst nach einer gewissen Zeit ausbezahlt und abgerechnet werden. Die Sozialbehörde lehnte jedoch ab und verwies auf die Mietkaution für das bislang bewohnte Haus, die zur Begleichung der neuen Kaution eingesetzt werden könne. Nachdem das Ehepaar hartnäckig blieb, wandte sich die Sozialbehörde wegen der Auszahlung der Kaution an den Haus- und Grundbesitzerverein E. unter dem Betreff "Leistungen nach dem SGB II im Mietverhältnis …" mit Angabe der bisherigen Adresse und des Namens der Kläger und bat unter anderem um Mitteilung des Auszahlungstermins und der Höhe der Kaution. Zudem telefonierten Bedienstete der Soialbehörde mehrmals mit dem Haus- und Grundbesitzerverein E. und erkundigten sich nach dem Sachstand.

Nachdem das Ehepaar auch Schränke für die Kinder beantragte telefonierte ein Bediensteter der Sozialbehörde deswegen mit dem Ehemann der Vermieterin.

Das Ehepaar war damit nicht einverstanden und befürchtete Hohn und Spott. Sie beantragten die Feststellung, dass die Sozialbehörde unbefugt Sozialgeheimnisse offenbart habe. Mit der vom BSG zugelassenen Revision rügen die Kläger eine Verletzung von § 35 Abs. 1 SGB I und ihres Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung.

Die Entscheidung
Das Bundessozialgericht (Medieninformation 2/2012) gab dem Ehepaar Recht. Jeder Leistungsberechtigte hat nach den auch für das SGB II geltenden datenschutzrechtlichen Vorschriften Anspruch darauf, dass die ihn betreffenden Sozialdaten von den Leistungsträgern nicht unbefugt erhoben, verarbeitet oder genutzt werden. Die Sozialbehörde kann das Offenbaren der Sozialdaten nicht damit rechtfertigen, dass dies erforderlich sei, um die eigenen Aufgaben zu erfüllen. Es muss in jedem Fall die schutzwürdigen Interessen der Leistungsberechtigten beachten und hätte deshalb vor einer Kontaktaufnahme mit Dritten zunächst das Einverständnis der Kläger einholen müssen.

Die Autoren Franz Dillmann und Tobias Mommer kommen in einem Artikel auf Legal Tribune online zu der Aufassung, dass vorbezeichnete Entscheidung des Bundessozialgerichtes bedenklich sei und äussern:

"Wer die bloße Offenbarung des Leistungsbezugs gegenüber Dritten schon als Beeinträchtigung der schutzwürdigen Interessen der Sozialleistungsberechtigten ansieht, impliziert, dass demjenigen, der Sozialleistungen bezieht, per se ein ehrverletztender gesellschaftlicher Makel anhafte. Entspräche es nicht eher dem Menschenbild des Grundgesetzes, wenn der Wert eines Menschen nicht daran gemessen werden würde, ob er soziale Rechte in Anspruch nimmt?"